Print lebt – mehr denn je

Totgesagte leben länger. Wie oft wurde in den vergangenen Jahren prophezeit, die Printmedien seien eine aussterbende Gattung, die Zukunft gehöre einzig und allein dem Internet. Die Zeitschriftenleser wollen offenbar nicht auf die Vorhersagen hören, denn 2013 gab es mit 100 neuen Periodika nicht nur einen Rekord an Titelgründungen, sondern mit über 1600 Wochenzeitungen, Zeitschriften und Magazinen auch über 50 Prozent mehr als vor 15 Jahren. Diese Zahlen nannte der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), Stephan Scherzer.

Tatsächlich ist der Abgesang auf „alte“ Medien nicht neu. Schon bei der Erfindung des Radios sagten so manche voraus, das bedeute den Tod der Tageszeitung. Als das Fernsehen aufkam, wurde das Sterbeglöcklein für das Radio geläutet. Nichts davon ist eingetreten. Die unterschiedlichen Medien konkurrieren untereinander, aber ergänzen sich gleichzeitig. Jedes hat seine spezifischen Stärken und Schwächen. Den Nutzen haben die Leser/Zuhörer/Zuschauer, denn sie können je nach Gusto aus der breiten Palette wählen. Eine Medienlandschaft ohne Druckerzeugnisse wird sich ebenso als Fehlprognose herausstellen wie das papierlose Büro.

Mut zur Bezahlschranke wird honoriert

Während es in Deutschland immer noch viel Skepsis gibt, ob die Leser Bezahlschranken im Online-Journalismus akzeptieren, und jüngst der neue Spiegel-Chefredakteur Wolfgang Büchner entschied, dass Spiegel Online kostenlos bleibt, schreiben einige US-Verlage Erfolgsstorys mit ihren Paywalls. Allen voran das Flaggschiff der Zeitungsbranche, die New York Times. Dort haben im dritten Quartal erstmals die Einnahmen aus dem Angebot hinter der Bezahlschranke ($37,7 Millionen) die aus dem digitalen Anzeigengeschäft ($32,9 Millionen) übertroffen. Dabei ist der zusätzliche Umsatz mit der gedruckten Ausgabe nicht einmal enthalten, auf die Leser zurückgreifen, wenn sie nicht mehr alle Artikel online gratis abrufen können.

Eine Unmenge von Journalismus-Konferenzen und Thesenpapieren beschäftigen sich seit Jahren mit der kontroversen Frage, ob Bezahlschranken wirtschaftlich funktionieren können. Dabei haben beide Seiten gute Argumente. Ein Knackpunkt ist sicherlich die Frage, wie viele Verlage für ihre journalistischen Angebote künftig Geld verlangen. Je mehr sich dazu entschließen, desto einfacher wird die Durchsetzung im Markt sein. Ein simpler Vergleich: Wenn eine Kneipe Freibier anbietet, ist es für die Nachbarkneipe schwierig, den Gerstensaft nur gegen Bezahlung auszuschenken.

Bei allen Bedenken, ob die einmal eingeführte Gratis-Kultur im Online-Journalismus wieder zurückgedrängt werden kann, halte ich folgende Überlegung für stichhaltig. Seit ca. 15 Jahren hoffen die Verleger darauf, langfristig mit digitalen Anzeigen und Kooperationen mit anderen Plattformen Gewinne zu erzielen. Tatsächlich schreiben nach wie vor die meisten Online-Medien rote Zahlen. Ich kenne keine andere Branche, die so hartnäckig auf ein offensichtlich nicht funktionierendes Geschäftsmodell setzt. Insofern möchte man den Verlegern und ihren Managern zurufen: „Traut euch, endlich etwas Neues auszuprobieren! Traut euch, von euren Kunden Geld für euer gutes Angebot zu verlangen!“ Qualität kostet, in den Medien ebenso wie in allen anderen Branchen. Mit Gratis- oder Billig-Journalismus ist letztlich niemandem gedient, weder den Medien noch der Gesellschaft (näher dazu siehe mein Blogpost Journalistische Pferdelasagne).

Mindestlöhne bleiben Makulatur ohne staatliche Kontrolle

In wenigen Tagen werden sich Union und SPD voraussichtlich auf einen Koalitionsvertrag einigen. Wichtiger Bestandteil wird der Mindestlohn von 8,50 Euro sein, für dessen gesetzliche Einführung die SPD in den Wahlkampf gezogen ist. Die Union hat diese Forderung bisher mit der Begründung abgelehnt, es wäre besser, wenn sich die Politik aus der Lohnfindung heraushalte und sie den Tarifparteien überließe, die den Mindestlohn für ihre jeweilige Branche und Region aushandeln könnten. Befürworter und Gegner eines einheitlichen Mindestlohns zitierten in der Debatte fleißig aus diversen Studien zu eventuell drohenden Arbeitsplatzverlusten. Die Untersuchungen kamen zu gegensätzlichen Ergebnissen, wie so oft je nach Auftraggeber der Studie.

Die Argumentation der Union hat in jedem Fall den kleinen Haken, dass die Tarifparteien nur dann einen angemessenen und fairen Mindestlohn aushandeln, wenn beide Seiten, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, einigermaßen gleichstarke Verhandlungspartner sind. Denn sonst droht wie so oft im Leben der Starke den Schwachen über den Tisch zu ziehen. Wie einseitig solch ein Abschluss und seine Umsetzung ausfallen können, illustriert das Beispiel der Vergütungsregeln für hauptberuflich freie Journalisten an Tageszeitungen. Nach jahrelangen, zähen Verhandlungen hatten sich 2010 der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) auf der einen sowie der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und ver.di auf der anderen Seite auf gemeinsame und verbindliche Vergütungsregeln für freie Journalisten geeinigt. Doch selbst drei Jahre nach ihrem Inkrafttreten halten sich viele Verlage nicht daran, d.h. sie brechen herrschendes Recht. Selbst in einem reichen Bundesland wie Baden-Württemberg ergab kürzlich eine Umfrage unter freien Journalisten, dass die Mehrheit nicht regelgerecht bezahlt wird. Dabei sind die Honorarsätze alles andere als üppig: Zwischen 47 und 165 Cent pro Zeile betragen sie, je nach Textgenre und Auflage der Tageszeitung.

Der Hauptgrund für die weit verbreiteten Rechtsverletzungen dürfte schlicht darin liegen, dass sie kaum Sanktionen nach sich ziehen. Freie Journalisten können zwar ihren Honoraranspruch einklagen, schrecken aber oft aus Angst vor Auftragsentzug davor zurück. Und wo kein Kläger, da kein Richter. An der Kontrolle und Sanktionierung durch Staat und Gesellschaft führt leider kein Weg vorbei, wenn Tarife, Vergütungssätze und Mindestlöhne nicht Makulatur sein sollen.

The new US interest in Europeans‘ privacy

Thanks to Edward Snowden, the EU-US negotiations on an agreement to protect individuals’ private data finally get into gear. The talks started in 2011, but 15 negotiating rounds have not lead anywhere until the NSA’s massive espionage activities were revealed.

A personal experience may illustrate how lukewarm the US interest in protecting the data of Europeans has been. At the RSA conference 2012 in San Francisco I had the chance of interviewing the cybersecurity coordinator of the Obama administration, Howard Schmidt, nicknamed „cyber czar“. When I asked him about the reasons why the privacy talks between the EU and the US were plodding along for such a long time, he refused to answer because he was not part of the negotiating team. Formally, this was a correct reaction, but I was surprised considering the emphasis on protecting privacy on the former cybersecurity website of the White House. Apparently, international data protection was not really a top priority of the US government at that time…

Dürftige Zwischenbilanz der deutschen Huffington Post

Vor über vier Wochen ist die deutsche Ausgabe der Huffington Post mit viel Brimborium an den Start gegangen. Angesichts des großen Erfolgs der amerikanischen Mutter erwarteten manche Auguren des Online-Journalismus ähnlich Bahnbrechendes für die hiesige Medienlandschaft. Vergessen wurde dabei oft, warum die Huffington Post in den USA so stark punkten konnte. Sie füllte nämlich im linksliberalen Spektrum eine Lücke, die insbesondere die New York Times aufgetan hatte. Das Flagschiff der US-Zeitungsflotte hatte vor und während des Irak-Kriegs zu lange vor der Bush-Regierung gekuscht, was sie im Nachhinein selbstkritisch bedauerte. Doch da waren viele Leser schon zur HuffPo und vielen Blogs abgewandert.

Mehr als ein Monat nach dem Start lud der Journalistenverband Berlin-Brandenburg nun den Herausgeber der deutschen Huffington Post, Cherno Jobatey, als Gast auf seine jährliche Mitgliederversammlung. Jobatey, bekannt geworden als ZDF- und ARD-Moderator, präsentierte in einem Vortrag Arianna Huffingtons deutsches Baby (so nennt sie die Ausgaben ihrer Plattform außerhalb der USA) und betonte, wie sehr sie mit ihrem Konzept die Zukunft des Journalismus verstanden hätte – ganz im Gegensatz zu vielen rückwärts gewandt denkenden Journalisten und ihres Verbands. Er redete viel über die hippe Arbeitskultur in amerikanischen Großraumbüros, über die schönen Seiten des Zeitdrucks im Online-Journalismus und wie wichtig Suchmaschinenoptimierung ist und sein sollte. Mir drängte sich dabei die unwesentliche Frage auf, welche journalistischen Leistungen im Sinne von Rechercheergebnissen denn die deutsche Huffington Post vorzuweisen habe und fragte Jobatey danach. Seine Antwort: Die Vermutung, dass Frank-Walter Steinmeier wieder Außenminister der großen Koalition würde, wäre nach der Wahl nur von der HuffPo geäußert worden. Wenn nach über einem Monat ein 15-köpfiges Redaktionsteam laut der Darstellung ihres Herausgebers nicht mehr herausgefunden hat, was nicht schon auf anderen Medien-Sites stand, ist das reichlich dürftig.

Jobatey bekam auf der Versammlung viele kritische Fragen von den Journalisten zu hören. Das war kaum verwunderlich, denn die Tatsache, dass die Huffington Post auch freien Journalisten für ihre Beiträge kein Honorar bezahlt, hatte in der Branche für breite Ablehnung gesorgt. Pointiert gesagt: Im Manchester-Kapitalismus wurden im Unterschied zur ach so hippen Arbeitswelt 2.0 zumindest Hungerlöhne gezahlt… Jobatey beteuerte, dass zumindest die Redakteure der in Zusammenarbeit mit der Burda-Tochter Tomorrow Focus betriebenen Plattform nach Zeitungstarif entlohnt würden. Für Arianna Huffington hat sich ihr Geschäftsmodell jedenfalls bezahlt gemacht: Sie verkaufte 2011 ihre HuffPo für 315 Millionen Dollar an AOL und wurde zur Millionärin. Ihre Autoren erhielten keinen Cent davon.

Beliebtes Zensurmittel in der PR: das Autorisieren von Zitaten

Der Einfluss, den die PR auf den Journalismus nimmt, ist im vergangenen Jahrzehnt erheblich gewachsen. Zu den Mitteln, die Öffentlichkeitsarbeiter unter Ausschluss der Öffentlichkeit vermehrt gerne einsetzen, gehört die sogenannte Autorisierung der Zitate von Gesprächspartnern. Das heißt, dass Journalisten dem Interviewten bzw. dem Pressesprecher seines Arbeitgebers vor der Veröffentlichung die Zitate zum Gegenlesen und zur Korrektur vorlegen. Laien mögen für diesen Wunsch Verständnis haben, doch die Krux ist die: Das nachträgliche Ändern der Zitate öffnet der PR Tür und Tor, tatsächlich gegebene Antworten in ihrem Sinn umzuformulieren oder unerwünschte Aussagen zu streichen. Darüber hinaus habe ich als Journalist oft die Erfahrung gemacht, dass die Gesprächspartner weder dem Leser noch sich selbst damit einen Gefallen tun. Gerade Techniker z.B. neigen dazu, beim Redigieren schwer verständliches Fachchinesisch zu verwenden. Auch will sich so mancher aus Angst vor Konflikten nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen und spült lieber seine Aussagen nachträglich weich. Klare Meinungen und Einschätzungen sind aber das Salz in der Suppe.

Zur Rechtslage: Journalisten sind aufgrund der im Grundgesetz geschützten Pressefreiheit zur Autorisierung nicht verpflichtet. Die Interviewten haben also keinen Anspruch darauf. Allerdings hat es sich im Gegensatz zu USA und Großbritannien in Deutschland eingebürgert, Wortlautinterviews in Frage-Antwort-Form dem Gesprächspartner vorab vorzulegen und gegebenenfalls Änderungen daran zu akzeptieren. In Texten für PR-Medien ist das Autorisieren dagegen gang und gäbe. Sie unterliegen auch nicht der Pressefreiheit und jeder Satz darin wird ohnehin häufig von mehreren Stellen gegengelesen und abgesegnet, bevor man damit an die Öffentlichkeit geht.

Zwei persönliche Erlebnisse zeigen, welche Ausmaße der Wunsch nach Autorisierung annehmen kann. Mit Brigitte Zypries, zuletzt Mitglied in Peer Steinbrücks Kompetenzteam, führte ich zu ihrer Zeit als Staatssekretärin im Bundesinnenministerium ein harmloses Interview in Frage-Antwort-Form zum e-Government, das ich mit einem Aufnahmegerät aufzeichnete. Die inhaltlich zugegebenermaßen nicht besonders aussagekräftigen Antworten gefielen Frau Zypries nicht, als sie diese wie vereinbart gegenlas. Sie mailte mir daher eine komplett neue Interviewfassung zur gefälligen Veröffentlichung. So gut wie kein Satz entsprach dem, was sie tatsächlich gesagt hatte. Das hineinformulierte Beamtendeutsch ließ stark vermuten, dass sie einfach per Copy und Paste Textbausteine aus Papieren ihres Ministeriums verwendet hatte. In einem solchen Schriftdeutsch spricht kein Mensch, nicht einmal ein Politiker, und das will auch kein Mensch so lesen. Über die Unverfrorenheit der späteren Bundesjustizministerin war ich damals sehr erstaunt. Die Redaktion veröffentlichte das Interview in einem Mix aus ihren mündlichen und schriftlichen Antworten. Konsequenterweise hätten wir auf das Interview verzichten sollen, aber so etwas ist natürlich sowohl für die Redaktion als auch für freie Journalisten ärgerlich.

Ein anderes gravierendes Erlebnis hatte ich mit einem Pressesprecher eines Elektronikkonzerns. Nach dem Interview mit einem technischen Fachmann des Unternehmens sagte mir der Pressesprecher, der sich bei dem Telefonat zugeschaltet hatte, er wolle die Zitate autorisieren. Als ich ihm erklärte, dass es sich um kein Wortlautinterview in Frage-Antwort-Form handele, ich mir ordentlich Notizen gemacht hätte und daher keine Autorisierung nötig sei, entspann sich eine kontroverse Diskussion. Er ließ sich auch durch meinen Hinweis, dass sich bislang noch nie ein Gesprächspartner hinterher bei mir über die verwendeten Zitate beschwert hat, nicht von seiner Forderung abbringen. Der Sprecher sagte mir sogar, er würde sich bei meiner Redaktion erkundigen, was sie von meiner Einstellung halte. Die Drohung zwischen den Zeilen war nicht zu überhören, denn dass er sich bei meinem Kunden über mich beschweren und als Vertreter eines Großunternehmens Druck ausüben wollte, konnte man sich ausmalen. Verärgert nahm ich davon Abstand, den Techniker in meinem Artikel zu zitieren, auch weil ich seine Aussagen unproblematisch durch Zitate anderer Gesprächspartner ersetzen konnte.

Journalisten mit Rückgrat sollten dem zunehmenden Autorisierungsunwesen entgegentreten. Zu viele Kollegen lassen sich leider dennoch darauf ein. Selbst wenn die Aussagen nicht nachträglich gravierend verändert und hingebogen werden, liest sich das Ergebnis oft wie ein dröger PR-Text. Grund für den Wunsch nach Autorisierung ist bedauerlicherweise häufig die Wichtigtuerei von Pressesprechern, die ihren Arbeitgebern damit ihre Existenzberechtigung demonstrieren wollen. Die Profis in ihrem Fach haben das nicht nötig. Im Übrigen stellt die Unsitte eine inakzeptable Benachteiligung von Print- und Online-Medien gegenüber dem Rundfunk dar. Denn bei Radio- und Fernsehinterviews können die Gesprächspartner hinterher nicht das Gesagte verändern. Dass andererseits Zitate korrekt wiedergegeben und nicht hinfrisiert werden (z.B. um gewünschte Thesen anzufüttern), sollte zum selbstverständlichen Handwerkszeug seriöser Journalisten gehören. Ein fairer, respektvoller und professioneller Umgang zwischen Gesprächspartnern, PR-Mitarbeitern und Journalisten ist schlicht ein Muss. Dafür sind alle verantwortlich.

Interessant zum Thema:
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/zeitungen_zeitschriften/interviewautorisierung101.html (mit Pro und Contra)
http://pressefreiheit-in-deutschland.de/interview-kein-recht-auf-autorisierung/ http://meedia.de/print/autorisierung-als-instrument-gegen-klartext/2013/02/21.html http://nachrichtenamort.de/sonderthemen/blick-ueber-den-tellerrand-journalistentag-kassel-2012-2

Koalitionspoker statt Schwarzer Peter

Die Woche der Entscheidung hat vermutlich geschlagen. Erfreulicherweise sieht es so aus, dass der von SPD und Grünen nach der Wahl hartnäckig gespielte Schwarze Peter, wer mit der bösen Frau Merkel zusammengehen muss, demnächst vom Koalitionspoker abgelöst wird. Schließlich braucht ein Land nicht nur Oppositionsparteien, sondern auch eine handlungsfähige Regierung. So einfach ist das. Die Wähler sind in dieser Erkenntnisfindung wie so oft weiter als die Parteien und man kann absehen, dass die Geduld der Bürger mit den Befindlichkeiten von Rot und Grün bald aufgebraucht wäre, wenn sich die taktischen Spielchen allzu lange hinzögen. Das vermeintliche Naturgesetz, dass der kleinere Koalitionspartner von Frau Merkel bei Wahlen stets dezimiert wird, muss zudem hinterfragt werden. Die SPD litt 2009 unter den Folgen der bei ihren Wählern unpopulären Agenda 2010. Die Fehler der FDP in der vergangenen Legislaturperiode wiederum füllen eine ganze Liste, angefangen bei Westerwelles unseriösem Wahlversprechen starker Steuersenkungen. Ebenso simpel wie die Notwendigkeit einer Regierung für ein Land ist die Tatsache, dass das Bilden einer Koalition in einer Demokratie auf Kompromissen beruht. Wer die nicht eingehen will, ist letztlich nicht demokratiefähig. Das ignorieren diejenigen, die jede Aussage im Wahlkampf zum Versprechen gegenüber den Wählern aufblähen, das keinesfalls gebrochen werden dürfe. Das hört sich schön an, vor allem in den Ohren der jeweiligen Parteibasis, greift aber zu kurz. Denn wenn man das zu Ende denkt, werden Kompromisse und Koalitionen unmöglich, schließlich beruhen sie auf einem Abrücken von den eigenen Maximalpositionen.

Ein Grund, warum die Union voraussichtlich Schwarz-Rot gegenüber Schwarz-Grün bevorzugen wird, kommt in der Berichterstattung meines Erachtens zu kurz. Die große Koalition hätte nämlich den Vorteil, dass sie im Bundesrat eine breite Mehrheit hätte. Schwarz-Gelb scheiterte zuletzt mit Gesetzesinitiativen gegen die rot-grüne Mehrheit im Bundesrat, was das Regieren erheblich erschwert.

Davon abgesehen wäre Schwarz-Grün eine interessante neue Variante. Die beiden Parteien stehen sich nicht so fern, wie das von vielen Politikern gerne dargestellt wird. Letztlich sollten demokratische Parteien grundsätzlich dazu bereit sein, miteinander zu koalieren, auch wenn es sich nicht um den Wunschpartner handelt. Schwarz-Grün brächte Einiges in Bewegung im Parteienspektrum, vor allem festgefahrene Denkschablonen in den Köpfen. Das Lagerdenken hat sich mit dem Ergebnis dieser Bundestagswahl ohnehin endgültig überholt.

Interessant wird auch sein, die Entwicklung zu verfolgen, wie sich Rot-Rot-Grün am Horizont der nächsten Bundestagswahl als mögliche Variante abzeichnet. Denn mit zunehmendem Abstand zur DDR-Vergangenheit wird es für SPD und Grüne schwieriger werden, eine Koalition mit der Linkspartei rundweg abzulehnen, nachdem es für eine Mehrheit von Rot-Grün offenbar nicht mehr reicht. Das gilt vor allem, wenn die Linken von ihrem unrealistischen Traum von Deutschland (im Polit-Sprech „dieses Land“) als einer Art Groß-Schweiz ohne internationale Bündnisverpflichtungen und militärische Auslandseinsätze abrücken. Es bleibt spannend.

Nutzen Sie Ihr Wahlrecht!

Das Wahlkämpfchen ist bald vorbei, daher ergeht hier und heute der flammende Appell: Gehen Sie wählen bzw. geh wählen (für duzfreudige Wähler der Grünen)! Wie knapp es nicht nur bei Wahlen, sondern im Leben allgemein zugehen kann, zeigt eindrucksvoll-witzig das Video „Geh Wählen“ Metallmix 2013 der IG Metall.

Sicherlich kann man an den Ausuferungen des Parteienstaats berechtigte Kritik üben. Das gilt für den übergroßen Einfluss, den sich die Parteien seit Jahrzehnten strategisch in allen gesellschaftlichen Bereichen gesichert haben – insbesondere wenn es um die Besetzung gut dotierter Ämter in maßgeblichen Gremien geht -, ebenso wie für die zu hohe Finanzierung meist inhaltsloser Wahlplakate durch den Steuerzahler. Dennoch sollten wir nicht vergessen, dass in vielen Weltgegenden Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen, um freie Wahlen in ihrem Land zu erkämpfen. Daher sollte man sein demokratisches Wahlrecht nicht gering achten, sondern nutzen.

Im Übrigen werden die meisten froh sein, wenn dieser Wahlkampf vorüber ist. Selten wirkte ein Bundestagswahlkampf über weite Strecken so inhaltslos. In der Medienberichterstattung und den sozialen Netzwerken konnte man teilweise den Eindruck gewinnen, es ginge hauptsächlich um die Halskette der Kanzlerin im TV-Duell, die Gesangskunst von Frau Nahles im Bundestag oder den Finger von Peer Steinbrück. Diese Verflachung der Debatte ist besonders dem Politjournalismus anzukreiden, der mit seinem Hang zur Personalisierung und Dramatisierung und zur Fixierung auf Umfragen und Koalitionsoptionen der intelligenten Auseinandersetzung mit Sachthemen in einer Demokratie keinen guten Dienst tut. Langfristig verprellen wir Journalisten so unsere Leser, Zuhörer und Zuschauer, aber solche Bedenken werden beim kurzfristigen Starren auf Klickraten im Online-Journalismus oft beiseite gewischt.

Impressionen von „Freiheit statt Angst“

Hier sind einige originelle und kreative Schilder bzw. Aktionen von der Demo „Freiheit statt Angst“ am 7.9. in Berlin. Tausende protestierten gegen die Überwachungsprogramme von NSA und GCHQ sowie die Untätigkeit und das Verharmlosen der massenweisen Ausspähung durch die Bundesregierung.

Aktualisierung 8.9.: Offenbar gefallen die Fotos auch der NSA. Jedenfalls hat sie meinen Tweet dazu retweetet…

Aktualisierung 2.10.: Inzwischen wurde der Twitter-Account der NSA-Presseabteilung interessanterweise gesperrt, so dass der obige Link nicht mehr funktioniert.

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BILD: Früher pfui, heute hui

Wie sich die Zeiten ändern. War es in der Vergangenheit zumindest unter seriösen Journalisten geradezu verpönt, bei der BILD-Zeitung zu arbeiten, ist sie heute zu einem Karrieresprungbrett in die Chefetagen avanciert. Erst bestellte der neue Spiegel- und Ex-DPA-Chefredakteur Wolfgang Büchner den Leiter des BILD-Hauptstadtbüros, Nikolaus Blome, zum Berliner Büroleiter des Magazins (von der Ernennung zu seinem Stellvertreter sah er erst nach heftigen Protesten der Redaktion ab). Dann folgte Büchner in der Nachrichtenagentur ein anderer BILD-Mann nach: Sven Gösmann, Chefredakteur der Rheinischen Post und zuvor stellvertretender Chefredakteur bei der BILD.

Wie groß die Macht des führenden Boulevardblatts in der Branche geworden ist, konnte man bereits in der Wulff-Affäre sehen. Der Kampagne der BILD schlossen sich damals die meisten Medien an. So konnte sie zeigen, dass sie selbst ein Staatsoberhaupt aus dem Amt schreiben kann, wenn es nicht mehr kooperationsbereit ist. Dass Wulff sich vor und während der Affäre falsch verhalten hat, ändert nichts daran, dass hier ein Exempel statuiert wurde.

Im Gespräch mit Kollegen konnte ich in den letzten Jahren oft feststellen, wie sehr viele inzwischen die BILD bewundern, sei es wegen ihrer Themensetzung, der zünftigen Überschriften oder der hochgradigen Vernetzung im Berliner Politbetrieb. Sie ermöglicht es der Zeitung, im hart umkämpften Nachrichtengeschäft oft die Nase vorn zu haben und Exklusiv-Geschichten zu veröffentlichen, die zum Tagesgespräch werden. Beides sind zwar Leistungen, denen Respekt gebührt, aber die Schattenseiten des Boulevardjournalismus aus dem Springer-Verlag werden zu wenig beachtet, auch wenn der BILD-Blog seit Jahren über die zahllosen Falschmeldungen und Verdrehungen minutiös berichtet.

Hans Leyendecker und zwei seiner Kollegen von der Süddeutschen Zeitung, die im vergangenen Jahr die Auszeichnung mit dem Henri-Nannen-Preis abgelehnt hatten, weil die Jury auch zwei BILD-Journalisten den Preis zuerkannte, bilden mit ihrer Haltung mittlerweile die Ausnahme in der Medienzunft.