Beliebtes Zensurmittel in der PR: das Autorisieren von Zitaten

Der Einfluss, den die PR auf den Journalismus nimmt, ist im vergangenen Jahrzehnt erheblich gewachsen. Zu den Mitteln, die Öffentlichkeitsarbeiter unter Ausschluss der Öffentlichkeit vermehrt gerne einsetzen, gehört die sogenannte Autorisierung der Zitate von Gesprächspartnern. Das heißt, dass Journalisten dem Interviewten bzw. dem Pressesprecher seines Arbeitgebers vor der Veröffentlichung die Zitate zum Gegenlesen und zur Korrektur vorlegen. Laien mögen für diesen Wunsch Verständnis haben, doch die Krux ist die: Das nachträgliche Ändern der Zitate öffnet der PR Tür und Tor, tatsächlich gegebene Antworten in ihrem Sinn umzuformulieren oder unerwünschte Aussagen zu streichen. Darüber hinaus habe ich als Journalist oft die Erfahrung gemacht, dass die Gesprächspartner weder dem Leser noch sich selbst damit einen Gefallen tun. Gerade Techniker z.B. neigen dazu, beim Redigieren schwer verständliches Fachchinesisch zu verwenden. Auch will sich so mancher aus Angst vor Konflikten nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen und spült lieber seine Aussagen nachträglich weich. Klare Meinungen und Einschätzungen sind aber das Salz in der Suppe.

Zur Rechtslage: Journalisten sind aufgrund der im Grundgesetz geschützten Pressefreiheit zur Autorisierung nicht verpflichtet. Die Interviewten haben also keinen Anspruch darauf. Allerdings hat es sich im Gegensatz zu USA und Großbritannien in Deutschland eingebürgert, Wortlautinterviews in Frage-Antwort-Form dem Gesprächspartner vorab vorzulegen und gegebenenfalls Änderungen daran zu akzeptieren. In Texten für PR-Medien ist das Autorisieren dagegen gang und gäbe. Sie unterliegen auch nicht der Pressefreiheit und jeder Satz darin wird ohnehin häufig von mehreren Stellen gegengelesen und abgesegnet, bevor man damit an die Öffentlichkeit geht.

Zwei persönliche Erlebnisse zeigen, welche Ausmaße der Wunsch nach Autorisierung annehmen kann. Mit Brigitte Zypries, zuletzt Mitglied in Peer Steinbrücks Kompetenzteam, führte ich zu ihrer Zeit als Staatssekretärin im Bundesinnenministerium ein harmloses Interview in Frage-Antwort-Form zum e-Government, das ich mit einem Aufnahmegerät aufzeichnete. Die inhaltlich zugegebenermaßen nicht besonders aussagekräftigen Antworten gefielen Frau Zypries nicht, als sie diese wie vereinbart gegenlas. Sie mailte mir daher eine komplett neue Interviewfassung zur gefälligen Veröffentlichung. So gut wie kein Satz entsprach dem, was sie tatsächlich gesagt hatte. Das hineinformulierte Beamtendeutsch ließ stark vermuten, dass sie einfach per Copy und Paste Textbausteine aus Papieren ihres Ministeriums verwendet hatte. In einem solchen Schriftdeutsch spricht kein Mensch, nicht einmal ein Politiker, und das will auch kein Mensch so lesen. Über die Unverfrorenheit der späteren Bundesjustizministerin war ich damals sehr erstaunt. Die Redaktion veröffentlichte das Interview in einem Mix aus ihren mündlichen und schriftlichen Antworten. Konsequenterweise hätten wir auf das Interview verzichten sollen, aber so etwas ist natürlich sowohl für die Redaktion als auch für freie Journalisten ärgerlich.

Ein anderes gravierendes Erlebnis hatte ich mit einem Pressesprecher eines Elektronikkonzerns. Nach dem Interview mit einem technischen Fachmann des Unternehmens sagte mir der Pressesprecher, der sich bei dem Telefonat zugeschaltet hatte, er wolle die Zitate autorisieren. Als ich ihm erklärte, dass es sich um kein Wortlautinterview in Frage-Antwort-Form handele, ich mir ordentlich Notizen gemacht hätte und daher keine Autorisierung nötig sei, entspann sich eine kontroverse Diskussion. Er ließ sich auch durch meinen Hinweis, dass sich bislang noch nie ein Gesprächspartner hinterher bei mir über die verwendeten Zitate beschwert hat, nicht von seiner Forderung abbringen. Der Sprecher sagte mir sogar, er würde sich bei meiner Redaktion erkundigen, was sie von meiner Einstellung halte. Die Drohung zwischen den Zeilen war nicht zu überhören, denn dass er sich bei meinem Kunden über mich beschweren und als Vertreter eines Großunternehmens Druck ausüben wollte, konnte man sich ausmalen. Verärgert nahm ich davon Abstand, den Techniker in meinem Artikel zu zitieren, auch weil ich seine Aussagen unproblematisch durch Zitate anderer Gesprächspartner ersetzen konnte.

Journalisten mit Rückgrat sollten dem zunehmenden Autorisierungsunwesen entgegentreten. Zu viele Kollegen lassen sich leider dennoch darauf ein. Selbst wenn die Aussagen nicht nachträglich gravierend verändert und hingebogen werden, liest sich das Ergebnis oft wie ein dröger PR-Text. Grund für den Wunsch nach Autorisierung ist bedauerlicherweise häufig die Wichtigtuerei von Pressesprechern, die ihren Arbeitgebern damit ihre Existenzberechtigung demonstrieren wollen. Die Profis in ihrem Fach haben das nicht nötig. Im Übrigen stellt die Unsitte eine inakzeptable Benachteiligung von Print- und Online-Medien gegenüber dem Rundfunk dar. Denn bei Radio- und Fernsehinterviews können die Gesprächspartner hinterher nicht das Gesagte verändern. Dass andererseits Zitate korrekt wiedergegeben und nicht hinfrisiert werden (z.B. um gewünschte Thesen anzufüttern), sollte zum selbstverständlichen Handwerkszeug seriöser Journalisten gehören. Ein fairer, respektvoller und professioneller Umgang zwischen Gesprächspartnern, PR-Mitarbeitern und Journalisten ist schlicht ein Muss. Dafür sind alle verantwortlich.

Interessant zum Thema:
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/zeitungen_zeitschriften/interviewautorisierung101.html (mit Pro und Contra)
http://pressefreiheit-in-deutschland.de/interview-kein-recht-auf-autorisierung/ http://meedia.de/print/autorisierung-als-instrument-gegen-klartext/2013/02/21.html http://nachrichtenamort.de/sonderthemen/blick-ueber-den-tellerrand-journalistentag-kassel-2012-2

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